Was die Westfalenpost am 4. Februar 1964 in ihrer Ausgabe berichtet klingt unglaublich. Im Jahre 1840 sorgen Meinungsverschiedenheiten im Dorf für starke Unruhe. Mit einem von Paderborn zugewiesenen Pastor waren nicht alle Westönner einverstanden. Der Beitrag der Westfalenpost beruht auf einer Akte aus dem Stadtarchiv Werl, unter A VIII 1b-52 Kasten 108 Amtsarchiv Werl: „Akta betr. die in Westönnen in Folge der Einsetzung des Pfarrers Hense vorgefallenen Exsesse.“ 1840 – 1843. Der Bericht entspricht den Tatsachen und Fakten dieser Akte. Lediglich die Vermutung des Verfassers, dass der Unfrieden viele veranlasste aus Westönnen und Deutschland auszuwandern, ist konstruiert und hat sicher andere Gründe gehabt. Den kompletten Bericht der Westfalenpost wollen wir Euch nicht vorenthalten. Zudem hat Dieter Holtheuer noch einige Informationen recherchiert, die wir in einem zweiten Beitrag präsentieren wollen.
„Durch Gottes Hand gerettet“ – Toter Hund im Brunnen – Zahlreiche Krawalle
Westönnen. Im 19. Jahrhundert sind drei Auswandererwellen im Amt Werl spürbar, und zwar um 1840 in Westönnen/Uffeln, um 1848 in Wickede, um 1860 in Büderich – wie kürzlich in einem auf Archivakten der Amtsverwaltung gegründeten Beitrag der WP dargetan wurde. Über die Ursachen konnten nur Vermutungen ausgesprochen werden. Ein glücklicher Wind spielte dem Chronisten inzwischen eine weitere Akte in die Hände, die einige Aufschlüsse zum Fall Westönnen liefern könnte. Die Zeit um 1840 ist in Westönnen nicht nur wegen der Auswanderung bemerkenswert, sondern auch wegen eines Riesenkrachs, der das Dorf für viele Jahre veruneinte. Zwar fehlt in den Akten ein direkter Hinweis, doch man geht sicher nicht fehl in der Annahme, daß es manchen Bewohnern zu ungemütlich im Dorf geworden war, und so gingen sie nach Amerika. Die Übereinstimmung des Datums ist wohl nicht zufällig.
Die Westönner hatten 1840 keinen Pfarrer, sondern nur einen Pfarrvikar namens Strack, den sie gern als Pastor gesehen hätten, aber das Generalvikariat in Paderborn schickte Pastor Hense nach Westönnen. Darob entbrannte nun ein Kampf, den man nur als regelrechten Aufruhr bezeichnen kann. Erdauerte zwei Jahre und vergiftete die Atmosphäre, so daß das Zusammenleben schwer zu ertragen war. Warum Pfarrvikar Strack ging und Pastor Hense kam, wird in den Akten nicht gesagt.
Schüsse ins Schlafzimmer
Kaum war der neue Pastor Ende Oktober 1840 eingezogen, fing der Krawall an. Amtsbürgermeister Fickermann mußte von Werl aus Gendarmen und Polizeidiener patroulieren lassen, weil der Polizist in Westönnen nicht mehr mit der allgemeinen Unruhe fertig wurde. Auf dem Kirchplatz wurde ein „Pasquill“ gefunden, eine Schmähschrift, die kein gutes Haar an dem „Neuen“ ließ. Der Pfarrgarten wurde beschmutzt, aus dem Brunnen des Pastors wurde ein toter Hund gezogen. Am schlimmsten tobte sich der Volkszorn in der Nacht zum 5. November in einem Vorfall aus, der sicher einmalig in der tausendjährigen Geschichte des Dorfes ist: ein Mordanschlag auf den Pastor. Durchs Fenster wurde in sein Schlafzimmer geschossen; am andern Morgen fand man sieben Stücke von zerschlagenen Kugeln. Er sei durch die Hand Gottes gerettet worden, bemerkte der Pastor Hense dazu in einem Schreiben an den Amtsbürgermeister.
Zwei Parteien
Es ging aber nicht nur gegen den Pastor, der vertrieben werden sollte. Binnen zwei Wochen hatten sich im Dorf zwei Parteien herausgebildet: eine größere Strack- und eine Hense-Partei. Dem Lehrer und Küster wurden die Fensterscheiben eingeworfen, und an Fritzes Wohnhaus wurde überdies ein Zettel mit Drohungen angeheftet. Der Amtsbürgermeister fürchtete um den Landfrieden und regte beim Landrat an, aus den Bewohnern von Westönnen eine zusätzliche Nachtwache einzurichten – zusätzlich zum Dienst des Nachtwächters – und zwar auf Kosten der Gemeinde. Der Landrat fand den Gedanken gut und sechs Wochen lang mußten die Westönner von nun an nächtlicherweile reihum Wache schieben, kontrolliert von den Polizeiposten. 14 Tage vor Weihnachten wurde die Wache wieder aufgehoben, weil sich kein Zwischenfall mehr ereignet hatte. Wer der nächtliche Schütze gewesen war, wurde nicht geklärt. Der Landrat verfügte Silvester 1840, daß der in Werl wohnende Polizeidiener Haverkamp nach Westönnen umziehen solle. Der Friede hielt nicht lange. Kaum waren Weihnachten und Neujahr vorbei, just am Dreikönigsfest, da fand Pastor Hense, als er aus dem Hochamt zurückkam, abermals ein Pasquill vor seinem Hause angeheftet, und er gab dem Amtsbürgermeister zu bedenken, ob die Nachtwache nicht wieder eingeführt werden sollte. Der schärfte jedoch lediglich den „Königlichen“ Gendarmen Beilipp und Schwaglau ein, ihre Arbeit in Westönnen zu verstärken.
Kommissar für Westönnen
Was sich im weiteren Verlauf des Winters und im Vorfrühling ereignete, läßt sich aus den Akten nicht ersehen, weil einige Stücke fehlen. Anschließend ereignete sich Ende März oder Anfang April ein neuer Krawall, dessen Kunde bis zur Regierung in Arnsberg drang. Am 6. April wurde abermals eine Schmähschrift gefunden, was aber kaum zu dem folgenden außerordentlichen Schritt der Regierung ausgereicht hätte. Sie entsandte nämlich am 26. April 1841 einen Kommissar nach Westönnen, offensichtlich in der Annahme, daß der Amtsbürgermeister in Werl nicht mehr mit den Ruhestörern fertig würde. Der Bürgermeister von Schwefe, von Devivere, sollte den Verfasser des Schmähbriefes suchen, wobei er sich mit Pastor Hense zu beraten hatte. Außerdem wurde der Gendarm Husemeier von Soest nach Westönnen beordert und die Nachtwache aus Westönner Bürgern wieder eingerichtet, diesmal aber fünf Mann stark- eine beträchtliche Belastung für das Dorf, das die Kosten zu tragen hatte, eine Belastung auch für die Nachtwächter, die dadurch in ihrer Berufsarbeit behindert waren. Im Verlauf der Untersuchung wurden viele Namen genannt, auch der Vorsteher Keweloh befand sich unter den Verdächtigen, so daß ihn der Landrat in Soest ablösen lassen wollte, anscheinend aber Abstand nahm, weil der Amtsbügermeister Fickermann zu bedenken gab, daß die Veruneinigung des Dorfes durch eine Neuwahl nur noch zunehmen werde. Auch er stellte nicht in Abrede, daß Keweloh zur Strack-Partei gehörte und sich durch Äußerungen verdächtig gemacht habe, er glaube aber nicht, daß er an Ausschreitungen teilgenommen habe.
Sechs Verhaftungen
Ein halbes Jahr lang mußten die Westönner wachen – bis zum 13. Oktober. Sogar während dieser Zeit kam es zu einem Zwischenfall. In der Nacht zum 25. Juli wurden dem Landwirt Ebel genannt Schulte , 19 Weidenbäume abgehauen. Die Ordnung wäre wahrscheinlich nicht so bald wieder hergestellt worden, hätte Devivere nicht scharf durchgegriffen. Er nahm sechs Männer unter dem Verdacht der Beschädigung fremden Eigentums und der Aufwiegelung gegen obrigkeitliche Verordnungen fest und ließ sie ins Polizeigefängnis nach Soest bringen, wo sie mehrere Tage festgehalten wurden. Seit den Verhaftungen ebbte die Unruhe ab, die Sicherheitsmaßnahmen konnten aufgehoben werden. Pastor Hense wurde den Westönnern im Laufe der Jahre ein hochgeschätzter Seelenhirt.
Der tiefere Grund für die Haßwelle, die manchen Bewohner aus der Heimat vertrieb, und vermutlich erst nach einer Generation völlig abgeklungen war, lag sicher nicht bei Pastor Hense, sondern in den Zeitverhältnissen. Der Versuch einer Revolution 1830 klang noch nach, die Erhebung von 1848 lag bereits in der Luft. So waren die unruhigen Westönner, die im übrigen staatspolitisch nicht übermäßig stark engagiert waren – Westfalen hatte nur geringen Anteil an den politischen Bewegungen des 19. Jahrhunderts – denn besonders anfällig für den Bazillus „Unruhe“, der in mancher Kammer sicher viel Tränen gekostet hat.
Autor: Dieter Holtheuer / Manfred Zeppenfeld