Erntehilfe und „Arbeit rund um das Sauerkraut“: Über den Anbau von Weißkohl in Westönnen ist in der Presse und im Fernsehen schon oft berichtet worden. Nun schrieb Eberhard Holin in dem Buch „Werl 2008 gestern – heute – morgen“ einen ausführlichen Artikel über unser Sauerkraut.
Das erinnerte mich an die eigenen Erfahrungen, die ich in der Landwirtschaft und in der Verarbeitung des Weißkohls gemacht habe. Wir Schüler mussten im Kriege Erntehilfe leisten. Mich erwischte es in den Jahren 1941 und 1942. Ich war 15 und 16 Jahre alt. Wir hatten drei Wochen Arbeit nachzuweisen. Ich arbeitete freiwillig noch länger, um etwas Geld in den Händen zu haben.
In meinen alten Papieren fand ich noch die Bescheinigungen über die geleistete Arbeit. Sie werden angefügt.
Wir, meine Freunde Wolfgang Dregger (1944 in Russland vermisst), Karl Viktor Klenter und ich meldeten uns bei dem Bauern und Sauerkrautfabrikanten Hubert Kerkhoff. Die Arbeitsstelle durften wir uns aussuchen. Wir wollten zusammenbleiben. Verpflegung gab es auf dem Hofe nicht. Wir hatten mit einem Brotbeutel und einer Feldflasche anzurücken.
Kerkhoff war damals mit Abstand der größte Hof im Dorfe. Es gehörten fast 200 Morgen eigenes Land dazu und etwa 150 Morgen waren in Bergstraße, Lohe und Gerlingen dazugepachtet.
Kerkhoff kümmerte sich nicht um die Arbeit oder um uns. Das machte der Verwalter Adam Schauer, der uns in seinem oberfränkischen Dialekt sagte: „Dann kommt ihr ans Beerenpflücken“. Das war uns recht. Das konnte ja nicht zu schlimm sein. Naschen konnte man da auch. Wie man sich doch irren kann. Die Beeren wurden im Akkord gepflückt. Für einen Zentner bekam man 4 RM. Aber wann schafften wir den Zentner? Da habe ich gelernt, was Arbeit ist. Noch in der Nacht war man am Pflücken. Kerkhoff hatte damals etwa 10 Morgen mit Beerensträuchern bepflanzt.
Am sechsten Arbeitstag, einem Samstag, hieß es dann: „Heute keine Beeren!“
Kerkhoff, der Bürgermeister war, hatte vielfache Verbindungen und konnte mitten im Kriege eine neue Feldscheune bauen, nachdem ihm vorher eine Scheune auf dem Hofe abgebrannt war.
Die Scheune steht heute noch am Westdahler Weg und gehört zum Hof von Werner Rinsche.
Wie froh wir waren, dass wir den Zimmerleuten beim Richten des Daches helfen durften und die schweren Balken schleppen konnten. Außerdem durften wir die Einfahrten mit einer Packlage befestigen und mit langen Steinschlaghämmern die Steine in der richtigen Länge abschlagen, damit die Packlage fest und eben wurde. Da gab es dann den Stundenlohn und der lag bei 32 Pfennigen. Fritz Wegener (Jahrgang 1925) war damals Eleve auf dem Hofe und war stolz, dass er für die gleiche Arbeit 35 Pfennige bekam. Die billigste Zigarette kostete damals drei Pfennige.
Fritz Wegener überlebte den Krieg, heiratete die heute noch aktive Agnes Wegener und verunglückte 1960 tödlich, nachdem er gerade Vater seines dritten Sohnes geworden war.
Kerkhoff hatte viele Arbeitskräfte. Neben den Deutschen waren drei Polinnen, etliche Franzosen, eine flämische Familie und eine holländische Familie da. Das Lager für die Franzosen war in der Fleischfabrik Pähler. 1942 wurde dann noch ein Gefangenlager für Russen auf dem Hof Hufelschulte eingerichtet, der damals nicht bewirtschaftet war. Die Russen wohnten im alten Backhaus. Die Ausländer wurden gut behandelt und bekamen ordentliches Essen. Die holländische Familie versorgte die Kühe und wohnte im Haus des Bauern.
Zur Arbeit: Auch für uns war die Arbeit nicht leicht. Die Garben des Getreides waren besonders schwer. Es fehlte an Bindegarn, und um daran zu sparen, wurden die Garben besonders dick gebunden. Die Feldscheune wurde rechtzeitig zur Ernte fertig, und das Einfahren war so eingerichtet, dass kein Leerlauf entstand. Die kurzen Wege vom Felde zur Scheune wurden mit drei gummibereiften Wagen und zwei Pferdegespannen bewältigt. Den üblichen Wiesenbaum, mit dem die Ladung normalerweise gesichert wurde, konnte man sich wegen der kurzen Wege sparen. Ein Wagen wurde jeweils beladen, einer abgeladen und der dritte war unterwegs.
Im zweiten Jahr hat es viel geregnet. Meine Schuhe wurden nicht mehr trocken. Hermann Meges, ein Arbeiter auf dem Hofe, der Mitleid mit mir hatte, lieh mir ein Paar lederne Gamaschen, damit die Unterschenkel etwas geschützt waren. An Gummistiefel war nicht zu denken.
Doch zum Weißkohl und zum Sauerkraut. Das Unkraut auf den Feldern musste immer wieder gehackt werden. In einer großen Reihe traten wir Arbeiter an. Man hatte das Tempo des Vorarbeiters einzuhalten.
Es gab Arbeiten, die schon vor der Ernte erledigt wurden. Kerkhoff hatte eine moderne Maschine, um Sauerkraut in Eimern von etwa 10 Litern abzufüllen. Es gab aber keine Eimer; das Eisen wurde für Panzer gebraucht.
Das Sauerkraut wurde hauptsächlich in gebrauchten Heringsfässern abgefüllt, die wir vom Bahnhof abholen mussten. Die Fässer stammten aus Norwegen und Dänemark.
In der Böttcherei wurden die Fässer aufgearbeitet. Manche Dauben mussten ersetzt werden oder auch die Eisenringe, die das Fass zusammenhielten. Für jedes Fass wurde ein neuer Deckel in Handarbeit hergestellt. Und wer leistete diese Arbeit? Das war Josef Grümme, der Vater unseres langjährigen Brudermeisters Friedel Grümme. Der Großvater Franz Grümme hatte schon die Böttcherei verwaltet. Josef Grümme wurde noch von einem französischen Kriegsgefangenen, einem Böttcher, unterstützt.
In der Böttcherei war es gemütlich. Wenn wir es einrichten konnten, aßen wir gerne dort unsere Butterbrote. Da wurde erzählt, und man lernte etwas von der Böttcherei. Die fertigen Fässer kamen in das Fasslager und warteten auf das erste Sauerkraut.
Wir „Beerenpflücker“ mussten unsere Ernte in die Fabrik bringen, wo sie gewogen wurde. Einmal kamen wir wohl gerade rechtzeitig, um ein Unglück verhindern zu können. Die Malerfirma Klenter (Oststraße) war dabei, die tiefen Bottiche für das neue Sauerkraut vorzubereiten. Die größten Flächen der Bottiche waren gekachelt, aber die Böden, die Ecken und die oberen Bereiche nicht. Die wurden von drei Anstreichern mit einer schwarzen „Farbe“ neu bearbeitet. Die „Farbe“ roch sehr stark. Woraus sie bestand, weiß ich nicht. Jedenfalls lärmten die Anstreicher in den Bottichen, als wenn sie betrunken gewesen wären. Dann stieg auch noch ein Anstreicher mit einem Topf Farbe auf eine hohe Treppenleiter, konnte aber kein Gleichgewicht halten, fiel mit der Leiter um und verschüttete die Farbe. Dadurch wurden noch mehr giftige Gase frei. Wir erreichten es, den Verwalter Herrn Schauer zu rufen, der auch sofort kam. Ihm gelang es mit unserer Hilfe, die angeschlagenen Arbeiter aus dem Bottich zu wuchten. Wie das sonst ausgegangen wäre, weiß ich nicht.
Die Ernte des Weißkohls begann schon früh. Man hat damals wohl auch andere Sorten angebaut als heute. Die frühen Sorten waren heller, weicher und die Köpfe waren kleiner. Zur Ernte trat wieder eine ganze Reihe Arbeiter an. Mit scharfen Messern wurden die Köpfe vom Strunk abgeschnitten. Das Aufladen auf die Wagen geschah mit zweizinkigen Ernteforken. Wenn die Köpfe klein waren, konnte man wohl zwei gleichzeitig erwischen.
Der Weißkohl wurde auch mit der Bahn verschickt. Dann wurden die Köpfe mit der Hand aufgeladen und in den Waggons sorgfältig aufgeschichtet.
Wenn die beladenen Erntewagen an der Fabrik ankamen, wurden die Köpfe wieder mit einer Forke auf ein Laufband geworfen und gelangten durch ein Loch in der Wand in die Fabrik. Frauen entfernten lockere oder schadhafte Blätter. In kleinen Rollwagen kamen die Köpfe dann zu der Maschine, wo sie verarbeitet wurden. Zwei Bohrer an der Maschine konnten die Strünke, die noch in den Köpfen waren, zertrümmern. Eine gefährliche Arbeit. Wir Jungen durften die Köpfe auch an die Bohrer führen. Die Hände waren in keiner Weise geschützt. Das taten wir gerne, weil wir uns sonst bücken mussten, um die Köpfe dem Hauptarbeiter anzureichen. Die gleiche Maschine hat auch den Weißkohl geschnitten und über ein kleines Förderband in die Bottiche gekippt.
Da war der wichtigste Mann am Werke. Den Namen habe ich vergessen. Er arbeitete still und zuverlässig. Mit einer Forke verteilte er gleichmäßig
den geschnittenen Kohl und trat ihn gleichzeitig fest. An den Füßen trug er Holzschuhe, an die man oben lederne Schäfte angenagelt hatte. In regelmäßigen Abständen verteilte er im ganzen Bottich eine gewisse Menge Salz. Die erforderliche Menge hatte er wohl im Griff. Gewogen wurde die Menge nicht. Wenn der Bottich voll war, wurde das Weißkraut mit schweren Bohlen abgedeckt und mit Steinen beschwert. Die Gärung konnte beginnen. Wenn ich mich richtig erinnere, war das erste Sauerkraut von den frühen Kohlsorten schon nach vier Wochen zum Verzehr bereit.
Irgendwann mussten wir Jungen ja wieder in die Schule, und so haben wir von der Hauptkampagne nichts mehr gesehen.
Autor: Friedrich Schleep