Wie wir das Schwimmen erlernten
Am Anfang soll auf die Artikel „Luigsmühle I“, „Luigsmühle II“ und „Luigsmühle III“ hingewiesen werden.
Es wurde schon erwähnt, dass man sich heute kaum noch vorstellen kann, welches Leben an guten Sommertagen in Luigsmühle herrschte. Dann konnte man die spielenden Kinder bis in unser Dorf hören.
Wann ich selber in das Wasser durfte, weiß ich nicht mehr. 1935 (9 Jahre alt) war für mich ein besonderes Jahr. Der Vater kaufte mir eine Saisonkarte. Ich durfte allein zum Baden. Das Schwimmen konnte beginnen; so dachte ich. Dann wurde mir vom Arzt das Baden verboten. Warum, das weiß ich nicht mehr. Ich war natürlich maßlos traurig, schon allein deswegen, weil ich nicht mit meinen Freunden gehen durfte.
1936 konnte ich viel nachholen, zumal ich in dem Sommer auch noch sechs Wochen zur Kur auf der Insel Norderney war, wo wir regelmäßig in das Meer und in das Meerwasserwellenbad durften.
Richtig ernst wurde es mit dem Schwimmen ab Ostern 1937 (11 Jahre alt). Da kam ich zur Schule nach Werl. Im gleichen Jahr wurde aus dem Mariengymnasium eine Oberschule. Das Lehrerkollegium blieb zuerst unverändert.
Hier muss der Direktor Dr. Max Rohwerder genannt werden. Er war erst 1934 nach Werl gekommen. Er stammte aus Pommern und war in Deutsch – Krone Leiter des dortigen Gymnasiums. Da er ein preußischer Katholik war, der nicht daran dachte, in die NSDAP einzutreten, verlor er die Schulleitung.
In Werl war er als Studienrat eingesetzt. Er unterrichtete Latein, Griechisch und Sport und da besonders das Schwimmen. Er war „Rittmeister“ (Hauptmann bei der Kavallerie) der Reserve und nahm als solcher an beiden Weltkriegen teil.
Den „Soldaten“ konnte und wollte er nicht verstecken. Schon bald hatte er auf unserem Schulhof eine richtige Hindernislaufbahn aufgebaut, wie man sie sonst nur auf den Kasernenplätzen fand. Zu den Hindernissen gehörte eine Eskaladierwand, die zu überwinden war und ein Drahthindernis, das zuerst sogar mit Stacheldraht versehen war. Wegen der vielen Verletzungen wurde der Stacheldraht durch einfachen Draht ersetzt.
Und was hatte das alles mit dem Schwimmen und mit Luigsmühle zu tun?
Als ich Ostern in Werl zum Unterricht musste, hatten wir in der Woche fünf einzelne Sportstunden. Sport wurde im „Dritten Reich“ groß geschrieben. Das war durchaus im Sinne von Dr. Rohwerder.
Wir begannen schon in der Turnhalle mit den Übungen zum Erlernen des Brustschwimmens. Mit einem Tamburin gab der Lehrer den Takt vor. Als das Wetter besser wurde, mussten wir uns auf der Rasenfläche, die vor dem Gymnasium war, auf den Rücken legen und konnten dann die Bewegungen mit beiden Beinen und beiden Armen gleichzeitig ausführen.
Als der Sommer kam, hatten die Schüler der drei unteren Klassen (Sexta, Quinta, Quarta) bei gutem Wetter ihr Schwimmzeug mitzubringen. Nach der zweiten Stunde marschierten wir gemeinsam zum Werler Bahnhof und fuhren mit dem Zug nach Westönnen. Meistens nahm Dr. Rohwerder zur Unterstützung noch einen Referendar der Schule mit. Vom Westönner Bahnhof gingen wir gemeinsam nach Luigsmühle. Die Bahnfahrt und den Eintritt in das Bad hatte natürlich jeder Schüler selber zu bezahlen ( Bahnfahrt plus halber Eintrittspreis (5 Pfennige)). Das gäbe heute bei den Eltern Proteste. Nach dem Umkleiden hatten wir uns in der Südwestecke auf den Beckenrand zu setzen. Auf ein Kommando wurde mit den Beinen das Wasser aufgewirbelt (abkühlen, abhärten).
Dann hatten wir in das Becken zu springen. Das Wasser war etwa brusttief, der Boden leider von einem Abflussgraben mit scharfen Betonkanten durchzogen. Auf ein Zeichen mit der Trillerpfeife hatten wir dreimal mit dem Kopf unter der Wasseroberfläche zu verschwinden. Dann begann das Schwimmen.
Aber da muss ich von einem Hilfsmittel berichten, über das man heute wohl nur noch lachen würde:
Jeder Schüler hatte zwei Leinensäckchen (etwa 20cm mal 40cm groß), die mit einem Steg verbunden waren. Wenn das Leinen nass war, konnte man mit dem Mund Luft in diese Kissen blasen. Dann konnte man sich auf den Steg legen, und die Luftkissen trugen den Körper, bis ein Teil der Luft entwichen war. Dann musste man nachblasen.
Wenn heute ein Lehramtsanwärter in gleicher Weise unterrichten würde, könnte er seine Prüfungen kaum bestehen, aber wir haben alle bei Dr. Rohwerder das Schwimmen gelernt. Ich denke da an einen völlig ängstlichen Mitschüler, der ohne Hilfe des Lehrers im Werler Nichtschwimmerbecken glatt ertrunken wäre, wenn Dr. Rohwerder ihn nicht aus dem Wasser geholt hätte. Der Schüler musste rückwärts von einer sehr steilen Rutsche in das Wasser rutschen und kam nicht wieder auf die Beine. Dieser Mitschüler ging später freiwillig zur Kriegsmarine.
Im Herbst des Jahres 1937 wurde das Werler Bad fertig und die Übungsstunden konnten in das neue Bad verlegt werden. Ich kann mich gut an den ersten Wettkampf im Herbst dieses Jahres erinnern. Leider war das Quellwasser im Werler Bad eisig, und beheizte Duschen gab es nicht.
Wenn wir das Badezeug trugen und in einer Riege angetreten waren, kam das Kommando:“ Pinkeln und Brausen!“. Da konnte sich niemand drücken. Das wurde überwacht.
Für die Westönner Jugend blieb Luigsmühle unersetzlich. Die Einnahmen des Betreibers oder Pächters gingen natürlich gewaltig zurück.
Ich erinnere mich besonders an den Schwimmmeister Elversfeld oder Elverfeld. Welche Qualifikationen er hatte, kann ich nicht beurteilen. Wenn er gute Einnahmen gehabt hatte, durfte ich sein Geld zur Werler Sparkasse bringen. Er wohnte und aß in dem Wirtshaus Luigsmühle. Anfang des Krieges verließ er Bergstraße.
Als Anlage füge ich ein Zeugnis bei, dass Luigsmühle nennt und von ihm unterschrieben wurde.
Es handelt sich um das so genannte „Fahrtenschwimmerzeugnis“. Damals musste man dafür 45 Minuten schwimmen (später 30 Minuten).
Die beiden anderen Zeugnisse wurden in Werl ausgestellt. Der erste wirkliche Schwimmmeister in Werl, Josef Limberg, hat die Prüfungen abgenommen. Bei dem Stundenschwimmen hätten wir Teilnehmer gerne abgebrochen. Bei strahlendem Sonnenschein war das Wasser eisig. Am Abend gingen wir noch frierend zu Bett.
Auf den Schwimmeister Josef Limberg folgte sein Sohn Wolfgang, und heute ist der Enkel Wolfram tätig.
Autor: Friedrich Schleep