Das Haus Goldstein in der Bruchstraße Nr. 15
Am 18.03.2009 wurde ein Artikel in das Internet gestellt unter dem Titel: „Wie war es früher in Westönnen? Hier: Handwerksbetriebe und Geschäfte an „Nacken Ecke“. Ich benutzte darin den Satz: „Wer von den Westönnern weiß heute, dass es in unserem Dorf eine Mühle gab? Und wo stand sie?“ Dieser Satz brachte etliche Nachfragen und brachte mich selber zum Nachdenken und zum Recherchieren.
Wer heute das stattliche Haus Goldstein in der Bruchstraße sieht, wird sich kaum vorstellen können, dass an dieser Stelle einmal eine Mühle stand. Sie wurde aber erst 1922 erbaut.
Und was war vorher in Westönnen?
Wurde da kein Korn gemahlen, wurde da kein Mehl gebraucht?
In den kleineren Dörfern in der Nachbarschaft gab es Mühlen. Der Mühlenbach, der im Süden die Grenze unseres Dorfes bildet, trieb etliche Mühlen an: eine in Ostönnen, eine auf dem Hofe Rienhoff in Mawicke, die Luigs – Mühle, die Lohmühle und die Mühle von Haus Köningen. In Büderich gab es noch die Mühle Wortmann. Mühlen wurden vom Wind oder vom Wasser angetrieben.
Und was war mit dem Westönner Bach?
Konnte man mit seinem Wasser kein Mühlrad antreiben?
Vielleicht hätte man es gekonnt, aber offensichtlich hatte das Gut Haus Lohe das Wasserrecht. Außerdem wurde das Wasser auch noch für etliche Flößwiesen benutzt, die im Frühling überflutet werden konnten, um eine gute Gras- und Heuernte erwirtschaften zu können.
Heinrich Westhues berichtet dazu aus dem Jahre 1823 folgendes:
(Es ist in seinem Heimatbuch von 1966 auf der Seite 86 nachzulesen),: „Laut Vertrag erklärte sich Frau von Papen bereit zu gestatten, „diejenigen Theile des Westönner Bruchs, welche den neuen Eigentümern zufallen werden und sich zur Wiesencultur eignen, jedes Jahr vier Wochen lang, vom 15. März bis zum 15. April, durch Benutzung des Westönner Baches zu bewässern. Nur für den wahrscheinlich selten eintretenden Notfall, daß in der erwähnten Jahreszeit ein solcher Wassermangel eintreten sollte und die drei anderen zum Betriebe der Lohmühle dienenden Bäche, insbesondere des Börnbaches und des Siepenbaches, nicht hinreichen, so daß die Mühle durch entzogene Benutzung des Westönner Baches einen bedeutenden Abbruch erleiden möchte, soll die Bewässerung unterbleiben, respective sofort eingestellt werden. – Außer der Zeit vom 15. März bis 15.April darf keinesfalls eine Bewässerung stattfinden.“
In diesem amtlichen Schreiben ist ein Fehler unterlaufen: Beim Börnbach und beim Siepenbach handelt es sich um das gleiche Gewässer.
Die Bedeutung der Lohmühle ist auch aus dem Urkataster von 1829 zu ersehen. Die Straßen haben da keine Namen, aber ein Weg hat den Eintrag „nach Haus Loh“ und in zwei Wegen wird sogar geschrieben „nach der Lohmühle“. Erstaunlicher Weise wird Luigs – Mühle nicht genannt.
Und nun zur Geschichte der Westönner Mühle, der Mühle der Familie Goldstein. Vier Generationen sind da zu nennen. Thomas, der Junior, hatte nichts mehr mit der Mühle zu tun. Sein Vater Leo, der Senior, erlernte das Handwerk noch in Büderich in der Mühle Wortmann, wo er auch noch zwei Jahre als Geselle arbeitete. In der Westönner Mühle war er nicht mehr tätig. Sein Vater und sein Großvater hießen beide Ignatz.
Der Großvater Ignatz Goldstein stammte aus Neubeckum und hat eine Mühle in Neuengeseke betrieben. Wie er dann gerade nach Westönnen kam, ist ungewiss. Dort betrieb er auf dem Hofe Potthoff (früher Köhler, heute Busemann) einen Handel mit Getreide und landwirtschaftlichen Produkten. Auf dem Hofe kann man heute noch den Vorbau besichtigen, der dem Aufzug diente; Reste des Aufzuges sind noch in dem Gebäude vorhanden.
Die Mühle in Westönnen entstand 1922 und war bis 1955 in Betrieb. Damals war das große Mühlensterben. Die vielen kleinen Mühlen wurden nicht mehr benötigt. Wer alte Wasserrechte besaß (etwa Luigs – Mühle) und diese aufgab, wurde vom Staat sogar gut entlohnt.
Goldsteins Mühle hatte einen Mahlgang, der wahlweise eine Steinmühle beschickte oder eine Walzenmühle. Der Antrieb erfolgte über einen Dieselmotor und später über einen Elektromotor.
Wohnen konnte man da nicht. Nach Osten war lediglich ein kleiner Anbau in Zimmergröße errichtet, der als Büro und Geschäftsraum diente und mit einem Eisenofen beheizt werden konnte. Da wurde manches Geschäft abgeschlossen, aber da gab es auch die Neuigkeiten aus dem Dorfe gratis. Wer sich Zutritt verschaffen wollte, braucht nur für eine Flasche Schnaps zu sorgen.
Im Kriege wurde die Mühle stillgelegt. Der Verleger Kamp aus Bochum nutzte die Räume, um seine Bücher und Lehrmaterialien für die Schulen vor den Bombenangriffen in Sicherheit zu bringen. Das größte Lager unterhielt er in der leer stehenden Fleischfabrik Pähler. Er wohnte sogar in Westönnen und baute unmittelbar nach dem Kriege das Haus Nr.13 Auf ´m Hackenfeld, das heute der Familie Rustemeyer gehört.
Der Urgroßvater Goldstein erbaute ein Wohnhaus in Lohe, was er aber später wieder verkaufte. Er mietete etwa 1935 die Mühle in Mawicke, die auch heute noch zum Hof Rienhoff gehört. Sie arbeitete im Kriege weiter. Die Kinder Franzis, Leo und Christa besuchten die Schule in Mawicke. Die zweite Tochter Mathilde wuchs bei einer Tante in Harth bei Büren auf.
Leider gibt es kein Foto der alten Mühle. Zum Glück hat Heinz Rohrer eine liebevolle, detailgetreue Zeichnung der Mühle geschaffen. Beachtung verdient das kleine „Fenster“ rechts oben unter dem Dach. Es handelt sich in Wirklichkeit um eine verglaste Nische hinter der eine Statue der Gottesmutter stand. Den Abbruch der Mühle hat die Statue mit einiger Schwierigkeit überstanden; sie ging beim Hausputz zu Bruch.
Heinz Rohrer zeichnet auch den Anbau mit dem Laden, der erst 1947 erfolgte. Die Schreinerei Schäfer ist auch noch dargestellt. Der kleine Laden, der viel zu bieten hatte, wurde von Frau Maria Goldstein bis 1985 betrieben. Was nicht im Laden war, wurde besorgt. Beliebt waren ihre selbst eingelegten Heringe. Frau Goldstein starb im Jahre 2000 im Alter von 94 Jahren.
Das heutige Gebäude entstand in mehreren Bauabschnitten. Von der alten Mühle, die aus Bruchsteinen errichtet war, steht nur noch die östliche Wand, die keine Fenster hatte. Im Keller befindet sich noch das Fundament der alten Dieselmaschine und der Brunnen der Mühle liefert gutes Wasser wie zu alten Zeiten. Die Mühle wurde vollständig abgebrochen, da die einzelnen Geschosse zu hoch waren und sich nicht mit dem Wohnhaus vereinen ließen. Die abgebrochenen Steine wurden in einen Steinbruch der Bauern Kerkhoff gekippt.
Zu den angefügten Bildern: Einmal ist der Eingang zur Mühle zu sehen mit zwei Jungen davor. Zwei Schilder dahinter machen Reklame für Hühnerfutter. Ein zweites Bild zeigt den Eingang zu dem oben erwähnten Laden.
Zwei Bilder entstanden im Dritten Reich. Solange noch Frieden herrschte, wurden am 1.Mai oder zum Erntedankfest gerne Umzüge durch die Gemeinden organisiert. Ein Wagen trägt die Aufschrift: „Goldstein` Mühle gegründet 1922“.
Auf dem Kutschbock sitzt mein Vetter Heinrich Schleep; der Müller Ignatz Goldstein schwenkt eine Schnapsflasche in der Hand. Auf dem zweiten Wagen steht geschrieben: „Ohne Bauer kein Brot“.
Das letzte Bild zeigt Ignatz Goldstein mit seiner Frau Maria als elegantes Paar.
Die alten Fotos stammen aus dem Besitz von Leo Goldstein.
Autor: Friedrich Schleep