Am Anfang dieser Recherche zwei Leseproben aus dem Werk: „Der singende Stotterer“ von Walter Dirks , Kösel-Verlag 1983
Seite 56 :
(…) Ihr Vater, mein sehr geliebter, etwas gefürchteter, aber viel mehr verehrter Großvater, der 1909 starb, in dem Jahr, da unser Nachkömmling geboren wurde, war in den ersten acht Jahren meines Lebens die Figur, die das Haus beherrschte. Sein Andenken blieb wach. Ich kann heute nicht mehr unterscheiden, was ich durch Erzählungen der Mutter und Schwester und was ich noch durch eigene Erfahrung und Beobachtung über ihn weiß.
Einmal nahm er den Knaben mit auf die Reise zu einem Ort, der Bergstraße hieß. Der Knabe hatte eine wahrhaft entsetzliche Angst vor der ersten Nacht im fremden Haus und Bett, in einem Landgasthof ( Luigsmühle ?,D.H.). Er war den ganzen Tag wie gelähmt von dem, was auf ihn zukam. In der Wirtsstube nach dem Abendessen schlief er auf einer Bank ein, und als er erwachte, war die Nacht und der Schrecken ebenso vorbei, (…)
Seite 60 :
(…) Der alte Risse.
Die Erinnerung an meinem Großvater führt mich in weit zurückliegende Zeiten. Im Jahre seiner Geburt fuhr in England die erste Dampfeisenbahn, 1825; als er zehn Jahre alt war, mag er von der Bahn Nürnberg-Fürth gehört haben. Er soll die Gabe des zweiten Gesichts gehabt haben,- ein Spökenkieker: Noch bevor er etwas von der Eisenbahn wußte, soll er in der Nähe seines Dorfes den ersten Schienenstrang und Wagen mit eisernen Rädern vorausgesehen haben. War es die Linie Dortmund-Paderborn, die an seinem Dorf (westönnen, D.H.)vorbeifuhr? Oder eher die ältere, die sehr alte preußische Linie, Köln-Minden, Köln-Berlin?. Ich bilde mir sehr gern ein, daß ich ein kleines bißchen von dieser Hellseherei von ihm geerbt habe, einen Ausweis echter Westfalenschaft. Goethe starb, als er sieben Jahre alt war; er wird es kaum erfahren haben. Als Bäcker-Lehrling soll der Bauernsohn oft die Strecke Westönnen-Hörde und zurück, um die 40 Kilometer in einer Nacht zu Fuß zurückgelegt haben, mit einer Last im Rucksack, mit der es eine caritative Bewandtnis hatte, die ich vergessen habe. Das und vieles mehr hat mir meine Mutter erzählt. Als er starb 1909, war ich acht Jahre alt (…)
Weshalb zitiere ich diese beiden Stellen? Wenn man aufmerksam
den Text verfolgt, liest man, daß der Autor über seinen
Großvater, den alten Risse, einige Fakten aus der
Bergstraßer/Westönner- Gegend berichtet.
Wer waren nun der Autor und sein Großvater? Beim Schreiber handelt es sich um den bekannten kath. Journalisten, Publizisten und Schriftsteller Walter Dirks. Einiges zu seiner Person in Kurzform:
Der vielfach ausgezeichnete Journalist (Großes Verdienstkreuz 1959, Kulturpreis des DGB 1969, Romano-Guardini-Preis 1981, Geschwister-Scholl-Preis 1983, Staatspreis NRW 1986, Reinhold-Schneider-Preis 1987) war nach dem Studium der Theologie, Philosophie und Soziologie von 1924 bis 1934 Kulturredakteur bei der Rhein-Mainischen-Volkszeitung und anschließend von 1935 bis 1943 bei der Frankfurter Zeitung. Seit 1946 war er Mitherausgeber der Frankfurter Hefte, von 1956 bis 1967 Leiter der Hauptabteilung Kultur des WDR. Autor zahlreicher Artikel, Essays und Bücher.
geboren: 08.01.1901 Dortmund-Hörde, gestorben: 30.05.1991 Wittnau/Breisgau, geheiratet: 28.08.1941 Frankfurt/M – Marianna Ostertag
Nun zum Großvater: „Der alte Risse“
Er war Walter Dirks Großvater mütterlicherseits. Walter Dirks Mutter Luise war die Tochter des Franz Risse. Am 15. Mai 1871 wurde sie in Dortmund-Hörde von Franz zweiter Frau, Louise Grewe, als erstes Kind dieser Ehe geboren. Luise heiratete am 7. April 1891 in Hörde Anton Dirks, der am 8. Februar 1865 in Suttrop vorehelich zur Welt kam. Seine Eltern waren der Schenkwirt Eberhard Clemens Dirks und Clara Müller zu Suttrop. Anton und Luise Dirks sind später zu ihrem Sohn Walter nach Frankfurt/Main gezogen und dort auch verstorben. Anton starb 1936 und Luise 13 Jahre später am 12. Mai 1949.
Luises Vater, Franz Risse (der Alte Risse), ein Sohn des Einsaß und Zimmermanns Theodor Risse gen. Küttemeier und der Elisabeth Stumpschulte zu Westönnen, wurde am 27.09.1825 als viertes von acht Kindern geboren und einen Tag später in der Westönner Kirche getauft. Seine erste Frau, Maria Anna Lutter, kam am 5. Mai 1827 in Niederbergstraße zur Welt. Sie war die Tochter des Schmieds Caspar Lutter und der Mariana Scheffer. Die Familie Lutter übte über Generationen, neben der Landwirtschaft, auch das Schmiedehandwerk in Niederbergstraße aus. Franz Risse und Maria Anna Lutter heirateten am 29.Januar 1856 in Do-Hörde. Der Westönner Pfarrer Bernhard Voss, hatte sie am 27.01.1856 zur Hochzeit nach Hörde, zum dortigen Pfarrverweser Heinrich Wigger, entlassen. Heinrich Wigger wurde später Generalvikar, Dompropst und Ehrenbürger von Paderborn.
Vier Kinder wurden dem Paar geboren. Franz Josef 1857, Maria Anna 1859, Heinrich 1861 und Anna Albertine Elisabeth 1863. Die Mutter Maria Anna starb am 11. Februar 1866 an der Schwindsucht und Franz Risse ehelichte erneut. Am 26. April 1870 heiratete er in Hörde die Louise Grewe, Tochter des Christan Grewe und der Eleonora Schwanke. Über diese Verbindung schreibt Walter Dirks auf Seite 65:
„(…) Er hat in zweiter Ehe eine evangelische Frau geheiratet. Die Mischehe, wie man sie heute zum Glück nicht mehr nennt, paßt wenig zum Bild des bewußten, aufrechten Katholiken von damals. Da war sein Pfarrer, Heinrich Wigger, der zum Generalvikar aufgestiegen und – wie es hieß – > im Rufe der Heiligkeit gestorben > ist. Der hatte es ihm nicht nur erlaubt, sondern sogar angeraten, diese Frau zu heiraten (…)“
Franz, der alte Risse, starb 1909 mit 84 Jahren und fand seine Ruhestätte auf dem Hörder Friedhof. Er war wie W. Dirks schreibt Bauersohn, Bäcker und Wirt und um in der Sprache von damals zu reden, > ein aufrechter Katholik < und ein Mann > von echtem Schrot und Korn <. In Hörde hatte er drei Häuser in bester Lage an der Chausseestraße, und zwar die Nr. 26/28/30. Nr. 26 war ein zweistöckiges Steinhaus in dem die Familie wohnte. (siehe Foto) Im Erdgeschoß führte der alte Risse die Gastwirtschaft „ Zur Grafschaft Mark „. In dieser behandelte er Gäste, die im nicht paßten, recht energisch; vor allem wenn sie betrunken waren. Er, der Katholik und Demokrat, wurde kratzbürstig, wenn es einen Streit mit den herrschenden Liberalen in der Stadt gab. In Hörde hieß Franz nur „ de Olle Risse „. Dies war nicht herabsetzend gemeint, sondern wurde mit Respekt gesagt. Autor: Dieter Holtheuer [gallery ids="51855,51856,51857" size="large"]