Wenn die Gemeinde am kommenden Samstag nach der Vorabendmesse auf dem Kirchplatz gemeinsam auf ein gutes neues Jahr 2012 anstößt, werden neben weiteren musikalischen Überraschungen auch Martin Hufelschulte und Werner Wanders aus dem Glockenturm die alte Kunst des „Beierns“ erklingen lassen. Worum es sich beim „Glockenbeiern“ handelt, wird im nachfolgenden Artikel näher erklärt:
Glockenbeiern allgemein
Der Begriff „Beiern“ ist die allgemein verbreitetste Bezeichnung für das Handläuten und wird zunächst oft lediglich als Sammelbegriff für Handläutetechniken verwendet. Zu ihnen zählen die folgenden Läutearten: Schlechtläuten, Beiern im engeren Sinne und Zusammenläuten.
Beiern war als verbreitete Läutetechnik anscheinend besonders vertreten in Nordwestdeutschland, vor allem im Rheinland und in Westfalen, aber auch in den Niederlanden und Belgien. Allerdings scheint der Verbreitungsgrad dieser Läutetechnik früher wesentlich größer gewesen zu sein und hat sich möglicherweise auf ganz Europa erstreckt. In Skandinavien kommt zwar heute der Begriff nicht mehr vor, anscheinend hat es die Methode aber dort auch gegeben. Im Hochmittelalter um 1200 ist das Beiern abgebildet an einem Kapitell in Autun (Burgund). Auch das noch heute übliche Glockenläuten in Spanien, der italienischen Schweiz und besonders in Italien sowie im Bereich der orthodoxen Kirchen ist eng mit dem Beiern verwandt. Wir haben in dieser Läutemethode deshalb möglicherweise die ursprünglichste Art des Glockenläutens vor uns. Es wurden anscheinend zunächst mehrere abgestimmte Glocken für eine Kirche angeschafft, um melodisch im Sinn von Glockenspielen das Beiern durchführen zu können. Ein Glockenspiel heißt im Flämischen „Beiaard“ und im Niederländischen bedeutet „beiaarn“ so viel wie Glockenläuten. Im niederdeutschen Sprachgebrauch wurde der Klöppel als „Beijart“ bezeichnet. Diese Verwandtschaften zeigen, dass Beiern zunächst ein allgemeiner Ausdruck fürs Läuten war.
Technische Ausführungen des Glockenbeierns
Bei allen Beierarten, dem Schlechtläuten, dem eigentlichen Beiern und dem Zusammenläuten werden zur Arbeitserleichterung immer die gleichen Vorbereitungen getroffen: Die Klöppel der einzelnen Glocken werden mit Seilen so festgebunden, dass sie wenige Zentimeter vom Glockenrand (Schlagring) entfernt sind. An diese Halteseile wird je ein weiteres Seil befestigt, das direkt oder über Rollen bis zum Läuter geführt wird. Zieht dieser jetzt an diesem Seil, wird die Kraft auf das Halteseil übertragen und so der Klöppel an die Glockenwandung gezogen. Bei kleineren, nicht so schweren Klöppeln, ist es so möglich, dass ein Läuter drei oder vier Glocken bedienen kann, indem er Hände und Füße benutzt; bei größeren Glocken und Klöppeln bedient er meist nur eine Glocke. Durch das Festbinden der Klöppel erspart man sich auf jeden Fall die große Kraftanstrengung, die zentnerschweren Klöppel immer wieder aus der Mitte der Glocke zum Rand zu ziehen.
Ein großer musikalischer Vorteil dieser Läutetechnik ist es, dass in verschiedenen Lautstärken geläutet werden kann, je nachdem wie fest am Seil gezogen wird; außerdem besteht die Möglichkeit, verschiedene Rhythmen und Geschwindigkeiten zu läuten.
In Westönnen sind noch Reste alter Hebelkonstruktionen am Glockenstuhl erhalten. Diese wurden 2006 wieder rekonstruiert und ergänzt. Wie oben beschrieben wird der Klöppel auch hier mit einem Seil vorgespannt. Dieses Seil aber mündet in einem Holzhebel, der an einer Walze befestigt ist. Diese Walze liegt drehbar in Holzlagern am Glockenstuhl. Ein zweiter Hebel, der an der gleichen Walze angebracht ist, steht zu dem ersten in V-Stellung. Wird nun durch Ziehen an dem zweiten Hebel die Stellung verändert, so verändert sich auch die Stellung des ersten Hebels und des Seils zur Glocke. Durch leichte Kraftanwendung am zweiten Hebel wird somit das Seil gegen die Glockenwandung gezogen, und es erfolgt ein Anschlag. Die Hebelkonstruktionen gibt es aber nur bei den drei großen und alten Glocken: der Bauernglocke von 1597, der Totenglocke und der Kinderglocke, beide von 1671. Diese Glocken bilden seit 1671 bis heute die unveränderte Grundmelodie des Geläutes und spiegeln den früheren Klang dieser historischen Läuteeinrichtung orginal wieder.
Das Beiern mit allen acht Glocken erfolgt in Westönnen technisch nicht mit den Handhebeln, sondern wie es im oberen Abschnitt genau beschrieben worden ist.
Beiern im engeren Sinne
Das Beiern im engeren Sinne meint, wenn die Glocken schnell nacheinander und in verschiedenen Rhythmen angeschlagen werden. Es entsteht eine Lebendigkeit in Glockenreihenfolge, Rhythmus und Anschlagstärke; die Klöppel werden an die stillstehende Glockenwandung angeschlagen.
Diese Läuteform war in Westfalen fast überall verbreitet. Sie taucht in den historischen Angaben für Westönnen zwar nicht auf, wird es mit größter Sicherheit aber auch gegeben haben.
In der heutigen Zeit wird das Beiern im engeren Sinne an den Orten Schwefe, Soest St. Petri, Wormbach und Westönnen noch praktiziert. Dieses Läuten erklingt meistens nur zu besonderen Anlässen. In Schwefe ist es der Nachtgesang, der an den Sonntagen im Advent bis zu Epiphanie erklingt. Zur Eröffnung der Walburga Festwoche Anfang Mai werden die Glocken in Wormbach immer noch gebeiert. In Soest ist es die Advents- und Fastenzeit, in der das Beiern erklingt.
In Westönnen ist es seit 2006 wieder eingeführt worden. Es werden Melodien, Advents- und Weihnachtslieder in der Vor- und Weihnachtszeit gespielt.
Autor: Martin Hufelschulte