Dem Pfarrbrief entnommen haben wir die Predigt von Weihbischof Matthias König, Paderborn, am 12. Januar 2014 anlässlich der Feierlichkeiten zur Errichtung der Gesamtpfarrei Propstei Werl. Dieser wurde im Pfarrbrief auf vielfachen Wunsch hin veröffentlicht. Hier nun der erste Teil.
Liebe Schwestern und Brüder im Glauben!
„Jetzt wächst zusammen, was zusammen gehört.“ Es war der frühere Bundeskanzler Willy Brand, an dessen 100. Geburtstag kürzlich erinnert wurde, der dieses Wort im Herbst 1989 geprägt hat. Damals war gerade die Mauer zwischen den beiden Teilen Deutschlands gefallen. Bei einer großen Kundgebung in Berlin sprach Willy Brand als früherer regierender Bürgermeister, der 1961 die Teilung erleben musste, diesen Satz, der zu einem geflügelten Wort geworden ist: „Jetzt wächst zusammen, was zusammen gehört.“ Es wäre einfach, wenn wir dieses Wort über den heutigen Tag und diese Feier hier in der Westönner Schützenhalle setzen könnten. Aber würde ich es wagen, käme ich vermutlich nicht ungeschoren von hier weg. Denn viele Menschen in Werl und Umgebung sehen die Auflösung von fünf ehemals selbstständigen Kirchengemeinden und die Errichtung der Gesamtpfarrei Propstei Werl anders.
Ende einer Epoche
Sie können es nachvollziehen, liebe Schwestern und Brüder: Ein solcher Anlass schafft die Versuchung, pathetische Worte zu gebrauchen. Ein solches wäre: Eine Epoche geht heute zu Ende. Sicher steckt darin Pathos, ein dramatischer Unterton. Aber rein geschichtlich betrachtet stimmt dieser Satz. Propst Feldmann hat in einem Informationsblatt mit Daten und Zahlen sehr deutlich gemacht: Pfarreien, von denen zwei immerhin 800 Jahre existiert haben, gehen mit jüngeren Gemeinden in der neuen Gesamtpfarrei auf. Sie hören als selbstständiges und (kirchen-) rechtliches Gebilde auf zu existieren. Alle diese Gemeinden haben ganz unterschiedliche Prägungen und Traditionen. Vermutlich gibt es zwischen ihnen – wie fast überall in solchen Zusammenhängen – auch durchaus alte Rivalitäten, die zumindest augenzwinkernd immer wieder benannt werden. Deswegen ist es eine verständliche Reaktion bei allen, die ihren angestammten Gemeinden verbunden sind, dass sie Angst empfinden, wie es wohl in Zukunft weitergehen wird – in Holtum, Büderich, Sönnern. Trauer wird viele erfasst haben: Alsselbstständige Pfarrei mit eigenem Pfarrer und in Abgrenzung zur Mittelpunktsgemeinde Propstei gibt es St. Norbert, St. Peter, St. Cäcilia nicht mehr.
Auch Aggressionen werden hochgekommen sein und Widerstände sich geregt haben. Manche konnten und können es sich nicht vorstellen, dass es wirklich jetzt so ist. All das, liebe Schwestern und Brüder, hat die Gremien bewegt und die Haupt- und Ehrenamtlichen auf dem Weg hierher mehr als beschäftigt. Im Grunde geht es zu wie bei jedem Trauerprozess: Es gibt die Phasen der Auflehnung, des Nicht-Wahrhabenwollens, aber hoffentlich auch des Sich-Ergebens in das Unvermeidliche. Darum war und ist es so wichtig, bewusst Abschied zu nehmen von der Vergangenheit. Alle, die das wollten, haben das in der letzten Zeit getan, gut begleitet von Ihren Priester, Gemeindereferentinnen und den Vertretern von Pfarrgemeinderäten und Kirchenvorständen, denen ich ausdrücklich an dieser Stelle für den großen Einsatz und das kluge Vorgehen danke. Sie alle haben die Menschen, die es wollten, gut auf diesem schweren Weg mitgenommen! Was an Überlegungen, Arbeit, Ringen und Sich Finden dahinter steckt, liebe Schwestern und Brüder, wissen im Letzten nur die, die so viel eingebracht haben, damit die neue Gemeinde werden kann. Und darum genau geht es heute: Den Trauerprozess über zu führen in einen klaren und von Zuversicht getragenen Neubeginn.
2. Verlust – Gewinn
Uns Deutschen wird nachgesagt, dass wir uns gern auf die negativen Seiten einer Sache zu fixieren. Für uns sei das Glas eben halbleer statt halbvoll. Vielleicht sind wir Westfalen dafür sogar noch anfälliger. Dieser Schritt in die Gesamtpfarrei kann dazu verführen, nur auf die Verlustseite zu schauen. „Wir haben keinen Pastor mehr im Dorf, keinen, der allein nur für uns zuständig ist. Wir haben keinen eigenen Kirchenvorstand und Pfarrgemeinderat mehr. Das kirchliche Leben am Ort war die letzte Zeit schon schwierig, aber wie soll es jetzt weitergehen? Usw. usw.“ Nur so zu denken und zu reden, zieht nach unten. Sie werden das aus manchen Gesprächen kennen, nach denen sie so richtig deprimiert nach Hause gehen, liebe Schwestern und Brüder. Die Aggression richtet sich dann gerne auf die vermeintliche oder wirkliche Obrigkeit: „Der Bischof, Paderborn, der Propst“. Doch seien wir nüchtern: Mit all dem, was – nicht nur – in unserem Erzbistum jetzt an Veränderung geschieht, müssen die Verantwortlichen, müssen wir alle auf eine Entwicklung reagieren, die seit Jahrzehnten unsere Gesellschaft und darin die Kirche massiv verändert.
Die Dörfer und Städte haben sich in einem Maße gewandelt, wie es in dieser Geschwindigkeit selten vorgekommen ist. Junge Leute gehen fort und kommen nicht wieder. Oder sie leben am Ort, haben aber ihre sozialen Kontakte in einem viel größeren Raum. Die fortschreitende Entchristlichung hat natürlich auch ein Abrücken von der Kirche zu Folge. Fast überall steht die Kirche mitten im Dorf – aber kaum noch einer geht hin. Vor allem jungen Menschen fehlen. Eine alte Frau hat mir das mal aus eigener Anschauung deutlich gemacht: „Vor Jahren strömten ganze Heerscharen die Straße hinauf zur Messe; heute bin ich meistens allein unterwegs.“ Die Aktiven in den Pfarreien und Gemeinden vor Ort kennen diese Tendenz – und leiden darunter. Sie versuchen, mit aller Kraft alles möglichst lange aufrecht zu erhalten. Viele sind davon erschöpft und enttäuscht, weil sie den Trend nicht stoppen können. Aber die Entwicklung ist im Moment nirgends aufzuhalten. Keiner hat ein Rezept, dagegen wirksam anzugehen.
Teil 2 folgt in den nächsten Tagen….
Autor: Aus dem Pfarrbrief / Foto: Werler Anzeiger