Todesfall in Mawicke (Teil 3): Die Beweisaufnahme und das Urteil
Im den ersten beiden Teilen unserer Serie zum Todesfall in Mawicke berichteten wir über die das Unglück und die Aussage der dringend tatverdächtigen Ehefrau Theres Wellie. Am 12. Juli 1913 hatte sich auf dem Hofe Wellie in Mawicke (heute Feldmann) das Unglück ereignet. Landwirt Theodor Wellie war dabei einer Schußverletzung erlegen und wenige Tage später wurde Ehefrau Therese verhaftet. Während des Prozesses im März 1914 wurde zunächst Therese Wellie gehört. Schon bei ihrer Aussage kamen dem Richter und den Geschworenen erhebliche Zweifel am Wahrheitsgehalt der Ausführungen. Im weiteren Verlauf der Beweisaufnahme wurden nun die Zeugen verhört. Wir haben hier den Originaltext des Soester Anzeigers vom 7. März übernommen:
„Es wurde sodann in die Beweisaufnahme eingetreten und als erster der Pastor Vedder zu Westönnen vernommen. Derselbe deduzierte, den Verstorbenen nicht genau gekannt, Nachteiliges über ihn aber nicht gehört zu haben, ausgenommen, daß er jähzornig gewesen sein soll. Von der Angeklagten weiß der Herr in der Hauptsache dasselbe zu berichten. Abgesehen höchsten davon, daß er die Angeklagte für etwas temperamentvoll hält, glaubt er sie als eine gute, fleißige Hausfrau bezeichnen zu können.
Es folgte sodann der Weichensteller Keggenhoff, ein Bruder der Angeklagten, der angab, plötzlich gerufen zu sein. Bei seiner Ankunft im Wellie’schen Hause, habe er denselben, nur mit einem Hemd versehen, blutend und am rechten Oberarm verwundet, im Bette vorgefunden. Zuerst habe er (Zeuge) weder den Verletzten noch die Frau desselben gefragt, wie Wellie zu der Verletzung gekommen. Am folgenden Tag erst habe er die Schwester gefragt, wie Wellie zu der Verletzung gekommen und die Antwort erhalten: „Ich weiß es nicht, ich war unten, hörte plötzlichen einen Schuß fallen und fand, als ich nach oben eilte, meinem Mann im Bette liegend vor.“
Die nächste Zeugin, die Schwester des Verstorbenen, verweigerte die Aussage.
Weiter erscheinen sodann der 12jährige Schüler Löhr und die Dienstmädchen Kaiser gnt. Hubernia mit ihren Bekunden auf der Bildfläche. Übereinstimmend wissen die bei Wellie bediensteten Leute zu melden, daß Streitigkeiten öfters vorkamen, so auch am 13. Juli* in erheblicher Weise und daß diesen Auseinandersetzungen alsbald Schläge und schließlich ein Schuß folgten. Den beiden Dienstmädchen hatte Löhr auch erzählt, daß, als er am bewußten Abned zu Keggenhoffs ging, zuvor in der Küche eine weiße Gestalt mit einem Gewehr in der Hand habe nach oben gehen sehen und zwar vor dem Schusse. Heute danach befragt, bestätigten alle drei die Angabe. (Die Anklage nimmt an, daß diese Gestalt nur die Angeklagte gewesen sein kann, umsomehr der Junge in in der Gestalt die „Tante“ (Angeklagte) erkannt haben will.)
Einer der wichtigsten Zeugen ist der Bahnarbeiter Flüchter. Derselbe hat vor der Tat mit Wellie in einem Lokale beim Kartenspiele obgelegen und ist der Ansicht, daß derselbe gegen ½ 8 Uhr die Wirtschaft verlassen habe. Gar bald ist dann die Nachricht gekommen, Wellie liege im Sterben. Keggenhof sei sofort zu dem Kranken geeilt und auch er (Zeuge) per Rad dahin gefahren. Er habe den Verletzten mit einem Hemd bekleidet im Bett vorgefunden. Frau Keggenhoff habe ferner seiner (des Zeugen) Mutter erzählt, daß Wellie seine Frau mißhandelt und diese alsdann das Gewehr erfaßt und ihren Peiniger erschossen habe. Allerdings habe es so schlimm nicht kommen sollen.
Es werden sodann noch der Gutsb. Schulte-Schramme vernommen, der die Tatsachen bekundet, daß der Tote zu Gewalttätigkeiten neigte und aus geringfügigen Ursachen zur Waffe und zum Stock griff. Selbst Verwandte bleiben davon nicht verschont.
Der Herr Vorsitzende regt nunmehr die Frage an, ob die Geschworenen zwecks Feststellung der Tat eine Lokalbesichtigung wünschten? Nach einer etwas 3/4stündigen Pause teilte der Herr Obmann dann mit, daß 6 Geschworene für die anderen 6 aber gegen eine Lokalbesichtigung seien. Daher werde vorgescchlagen, erst die Herren Gutachter zu hören. Von deren Bekundungen sollte alsdann ein etwaiger Lokaltermin abhängig gemacht werden. Das Ergebnis war folgendes:
Der Gerichtsarzt Dr. Steinhaus nahm am 2. August (am 13. Juli* geschah die Tat, am 17. Juli wurde Frau Wellie in Untersuchungshaft genommen) die Untersuchung des Angeklagten vor und stellte fest, daß die Weichteile des rechten Oberarms mit Blut unterlaufen und in der Mitte des Kopfes (Scheitel) eine 4 Zentimeter lange frische Narbe vorhanden war. Im Unterhaupte fanden sich außerdem 2 je fünfmarkstückgroße Blutergüsse vor. Diese Verletzungen seien fraglos von fremder Hand beigebracht worden. Der Herr Gutachter hielt für ausgeschlossen, daß Frau Wellie mit dem schwer verletzten Arm ihrem Manne hätte Hilfe leisten können. Auch halte es für möglich, daß, wenn die Angeklagte die Tat beging, sie dieselbe im Affekt begangen habe. Derartig schwere Mißhandlungen ließen eine solche Annahme als berechtigt erscheinen.
Die Herren Medizinalrat Dr. Dörrenberg – Soest und Kreisarzt Dr. Hagemann nahmen die Untersuchung des getöteten Wellie vor. Am rechten Oberarm, den der Mann zweifellos erhoben haben mußte, fand sich eine 10×15 Zmtr. Große Wunde vor. Schrotkörner seien durch die Obduktion noch 40 Stück aus der Ellenbogengegend herausbefördert worden. Wenn rechtzeitig verbunden, so wäre der Tod wahrscheinlich nicht eingetreten. Der Schuß sei anscheinend aus einer Entfernung von ungefähr 2 1/2 Meter abgegeben worden.
Dr. Hagemann schloß sich den diesen Ausführungen an. Herr Dr. Jürgens aus Werl führte kurz aus, daß er Hilfe nicht mehr hätte leisten können und unterhalb der Achselhöhle, am rechten Unterarm, ein tiefe handbreite Verletzung vorgefunden habe.
Der Büchenmacher Rieckelt* hat mit einem gleichen Gewehr und mit demselben Pulver Schießversuche vorgenommen und festgestellt, daß der Schuß in einer Entferung von 2,50 – 3,00 Meter abgefeuert sein müsse. Einen Selbstmord oder Tod durch Zufall hält Gutachter auf Befragen des Verteidigers für nicht unmöglich, aber beinahe ausgeschlossen, der Schußkanal spreche für die Beibringung der Verletzung aus fremder Hand.
Der Staatsanwalt Windhorst hält aufgrund der Beweisführung die Angeklagte, trotz ihres Leugnens, für völlig überführt. Der Herr Vertreter der Anklage machte darauf aufmerksam, daß die Beweisführung ergeben habe, daß die Frage nach Notwehr durchaus nicht von der Hand zu weisen, die Angeklagte daher freigesprochen werden müsse. Die Bekundung der Herren Gutachter schließe auch die Möglichkeit nicht aus, daß die Frau im Augenblick der Tat sich nicht im Vollbesitze ihrer Sinne befunden habe, somit auch aus tiefem Grunde Freisprechung zu erfolgen habe. Dem Herr Verteidiger bleib eigentlich nicht mehr viel Arbeit übrig, trotzdem vertrat er die Interessen seiner Klientin noch in reichem Maße,
Wie nicht anders zu erwarten, verneinten die Geschworenen die gestellten Schuldfragen. Das Urteil lautete demgemäß Freisprechung.“
Mit einigen Informationen zu der Familie Wellie werden wir unsere Serie in den nächsten Tagen mit dem vierten Teil schließen.
Zusätzliche Anmerkungen (Westönnen Online):
*Im ersten Teil unserer Serie haben wir das Datum der Tat auf den 12. Juli 1913 gelegt. Das lag am ersten Zeitungsbericht zu der Tat, der im Text den Samstag als Tatzeitpunkt benennt. Und der 12. Juli 1913 war definitiv ein Samstag. Im Zeitungsbericht zur Schwurgerichtsverhandlung wird jedoch dreimal der 13. Juli, also Sonntag, als Tatzeitpunkt genannt. Da aber auch in den Kirchenbüchern der 13. Juli als Todestag von Theodor Wellie genannt wird, gehen wir davon aus, dass sich Tat wohl an dem Sonntag ereignete.
*Im Bericht wird zweimal auf einen Zeugen (Büchsenmacher) eingegangen. Bei der ersten Erwähnung heisst er Bieckelt, im weiteren Verlauf wird er Rieckelt genannt. Wir lassen diese Frage offen.
Autor: Manfred Zeppenfeld / Alfred Risse / Dieter Holtheuer