In den vergangen zwei Jahren haben wir in regelmäßigen Abständen die Mitschriften des Lehrers Franz Asshoff präsentiert. Diese Serie endet mit dem heutigen Bericht Zum Schluss haben wir uns noch den Gefallenen des Ersten Weltkrieges zugewandt, zu denen Franz Asshoff Notizen gemacht hatte. Franz Asshoff hat in seinen Tagebüchern die Mitteilungen wiedergegeben, welche die Angehörigen bekamen, wenn ein Soldat gefallen war. Unter der Überschrift: Gefallene Helden des 4. Kriegsjahres aus der Schulgemeinde Westönnen steht an dritter Stelle ein ganz besonderer Fall. Es geht um den Westönner Karl Buchgeister, der in englischer Gefangenschaft von einem Patrouille-Posten erschossen wurde. Franz Asshoff schreibt dazu:
Karl Buchgeister, geb. am 8. April 1892 zu Westönnen als Sohn des Baugewerkmeisters Friedrich Buchgeister daselbst. 1912 trat er als aktiver Soldat in das Garde – Schützen – Batl. zu Lichterfelde ein. Als solcher rückte er zu Beginn des Krieges mit aus, geriet aber schon am 8. Septbr. 14 bei Orle, an der Hüfte und am Arm verwundet, in englische Gefangenschaft. In dem Lager zu Blading wurde er von einem englischen Posten erschossen. Er starb im Kriegslazarett daselbst am 13. Novbr. 1917.
Die Eltern erhielten die Nachricht vom Tode ihres Sohnes zu nächst durch Vermittlung des Roten Kreuzes. Ein Kamerad des Gefallenen, der nachträglich in Holland interniert ist, schreibt u. a. folgendes:
Rotterdam, d. 11.4.18.
Geehrter Herr Buchgeister!
Sie können überzeugt sein, daß, wenn auch Ihr Sohn auf noch so tragische Art und Weise der Welt „Valet“ [leb wohl] sagen mußte, so ist von uns aus alles geschehen, um ihm dennoch die Erde im fremden Lande möglichst leicht zu machen. Ich weiß nicht, was Ihnen vom Intern. Genfer R. Kreuz als Todesursache mitgeteilt ist, nur so viel steht fest, daß sich die hierüber handelnden englischen Blätter folgendermaßen über die auf völlige Unwahrheit beruhende Todesursache einig waren : der 25 Jahre alte deutsche Kriegsgefangene Karl Buchgeister, Angehöriger der Preußischen Garde, erlag im englischen Hospital zu Blading den Verletzungen, die er bei seinem Fluchtversuch aus dem internierten Kriegsgefangenen Lager Bramley erhalten hatte und wurde auf selbigen Friedhof beigesetzt.
Ihnen hierüber nur so viel, daß Ihrem Sohn jeglicher Fluchtversuch fern lag; dafür kannten wir sein gewissenhaftes Gemüt und Pflichtgefühl viel zu gut, und soll es lediglich eine Vortäuschung englischerseits vorstellen, um die bedauerlichen, so traurigen Vorgänge auf eine falsche Fährte zu leiten. In Wirklichkeit waren diese gänzlich harmloser Natur und folgende : damit Ihnen dieses jedoch verständlich wird, möchte ich noch etwas weiter ausholen und vorausschicken, daß Bramley ein großes Arbeitsfeld ist und innerhalb diesem wiederum unser Wohnlager, das vorgenannte „C – Camp“, eingezäunt und beständig durch Patrouille-Posten versehen war. Außer uns befanden sich etwa 1 km von uns ab die beiden anderen Lager, das englische A. und ein zweites deutsches B – Camp, gesondert eingezäunt. Um den ganzen Komplex war außerdem ein hoher eingefriedigter Stacheldrahtzaun, demnach auch ein Fluchtversuch unserseits völlig undenkbar, umso mehr, da am betreffenden Tage innerhalb und außerhalb des Lagers geschafft wurde. Noch besser verständlich wird die Situation, wenn man sich vor Augen führt, daß wir Wintertags in 2 großen Steinbauten zu je 600 Mann ohne jegliche Feuerung untergebracht waren.
Dieses wird die Sache erläuteren, als Ihr Sohn aus purer guter Kameradschaft dem Jäger Kunze einen Sack Kohlen abnehmen wollte, den dieser ihm durch den Drahtverhau hindurchlangte. Hierbei mußte er unglücklicherweise die sogenannte, nicht zu betretende Postenlinie passieren, wobei ihn das unglückselige Geschick durch den betreffenden englischen Patrouille – Posten ereilte, der nach Aussage mehrerer zu Protokoll genommener Kameraden ohne jeglichen Zu- oder Anruf auf ihn anlegte und abdrückte.
Beim Falle des Schusses befand ich mich dienstlich in unserem Lager-Büro und eilte erschrocken zur Unfallstelle, von der Ihr Sohn –Gott hab ihn selig– schwer getroffen zum nächsten Quartier gebettet wurde. Alles war begreiflicherweise in größtem Aufruhr. Sämtliche Kameraden verließen die Arbeit und wollten dem Posten zu Leibe, der schleunigst von der englischen Wache abgelöst und entfernt wurde. Auf telefonische sofortige Benachrichtigung erschien der engl. Lagerarzt mit weiteren Offizieren, während dessen ihm von uns fachmännischer Weise ein Notverband aufgelegt wurde. Der arme Patient hatte jedoch eine so schwere Wunde, daß er vorläufig nicht transportfähig war und erst nach mehreren Stunden – von 9 Uhr vormittags bis 5 Uhr nachmittags – dem nächsten Hospital zu Blading überwiesen werden konnte. Die Todesursache war keineswegs irgendwelche Verblutung, sondern lediglich Durchlöcherung des Zwergfelles, nach Aussage des Hospitalarztes.
Den Schuß erhielt er in gebückter Stellung in die rechte Schulter, durch Brust und Leib und den linken Oberschenkel hindurch. Bald darauf erhielten wir die so traurige Todes- nachricht, die uns alle tief erschütterte, da er uns allen ein seelenguter Kamerad und Leidensgefährte gewesen und wir ihn daher sehr ungern missen möchten. Sie selbst kannten ihn sicher am besten. Mir kam er sehr gewissenhaft im Dienst und äußerst genügsam vor in seiner nüchternen Lebensweise. Dies beweist sein zusammengespartes Geld in englischer Kriegsgefangenschaft und seine hinterbliebenen aufgekauften vielen Lebensmittel, da beizeiten zu sorgen, um in der Not zu haben. Diese wurden preiswert unter sein letztes kameradschaftliches Geleit, bestehend aus Regiments – Kollegen, Landsleuten und Sängerchor verkauft u. zu Beerdigungskosten wie Gedenkstein und Kränzen gestiftet. In der Hoffnung, dass Sie sich mit Ihrem Geschick im Laufe der Zeit einigermaßen abgefunden haben, zeichne ich hochachtungsvoll, sein ehemaliger deutscher Lager – Führer,
Steueramtsmaat d. R.
Hans Geipel
Ein Kamerad des Gefallenen aus dem englischen Gefangenen- Lager schreibt :
„Als Bataillonskamerad Ihrem lb. Sohn und Bruder das letzte Geleit gegeben, liegt es mir auf dem Herzen, Ihnen bei dem schweren Verluste doch den großen Trost zu spenden, von dem mir der kath. Militärgeistliche des Hospitals in Bäding am Grabe ihres lb. Karl gesprochen hat. Ihnen, den lb. Eltern und Geschwistern soll ich mitteilen, daß Ihrem lb. Karl die liebevollste Pflege zuteil geworden ist und er die heiligen Sterbesakramente in lateinischer Sprache empfangen und auch verstanden hat.
Karl ruht jetzt in geweihter Erde auf dem herrlichen Friedhof in Bäding und der englische Geistliche versprach auch, ein Seelenamt für den Frieden Ihres lb. Jungen lesen zu lassen.
Möge der Gedanke Ihren Schmerz lindern, daß Karl in steter, treuester Pflichterfüllung für Kaiser und Reich starb und alle Kameraden, die ihn kannten, ihm ein ehrendes Andenken bewahren werden.
In gleichfalls schmerzlicher Trauer verbleibe Ihr ganz ergebener
Hermann Winter
Bramley, d. 26. Nov. 1917
17481.
vom Garde – Schützen – Btl. III . Komp.
Autor: Ferdi Newe