Der Besuch eines Friedhofs dient nicht immer zum Gedenken eines lieben Verstorbenen. Oft nutzt man ihn auch für den sonntäglichen Spaziergang. Unwillkürlich betrachtet man auch hierbei die Grabstätten fremder Menschen, mit ihrem Schmuck, ihren Grabsteinen oder Kreuzen.
Beim Besuch des städtischen Westönner Friedhofs östlich der Menzestraße, auf dem sogenannten Grummel, entdeckt man in der Süd-West-Ecke eine bemerkenswerte Begräbnisstätte. Fünf schlichte viereckige Gedenksteine und ein Kreuz, alle aus Grünsandstein, zieren die Ruhestätte. Mit nachstehenden Worten sind die Steine beschriftet. ((von links nach rechts; siehe Foto).
Diese für Westönnen außergewöhnliche Begräbnisstätte wirft natürlich Fragen auf. Mit diesem Beitrag möchten wir etwas zur Aufklärung beitragen und weiter zu den bestatteten Personen berichten. Sieht man auf das Datum der ersten drei Gedenksteine, so stellt man fest, dass diese drei Personen am gleichen Tag gestorben oder beerdigt worden sind. Es war der 4. April 1945. Drei Tage später übergab sich Westönnen den einrückenden Amerikanern. Und einen Monat später, am 8. Mai 1945, schwiegen endgültig die Waffen für ganz Deutschland.
Zu den beiden unbekannten Bürgern der UdSSR kann wenig berichtet werden. Vermutlich handelt es sich um russische Kriegsgefangene, die in Westönner Lagern untergebracht waren. Mechtild Brand berichtet 2010 in ihrem Buch „Verschleppt und Entwurzelt – Zwangsarbeit zwischen Soest, Werl, Wickede und Möhnetal“ von folgenden Lagern in Westönnen:
Russ. Arbeitslager Westönnen Kirchstraße 38 – Fa. Kerkhoff, Russ. Arbeitslager Bahnhofsstraße 109 – Fa. Hering, ferner gab es Arbeitskommandos mit 22 Kriegsgefangenen bei der Fa. Prinz und 20 Kriegsgefangenen bei der damaligen Wurstfabrik. (heute Breite Str. Haus- Nr. 60). Auch auf Haus Lohe bei der Schreinerei Wilms waren 13 Kriegsgefangene im Einsatz.
Über ähnliche Sterbefälle aus Werl berichtet Frau Brand auf der Seite 243. Auch hier heißt es „Unbekannter Russe“.
Der dritte Gedenkstein erinnert an den Tod einer Russin mit Namen HAL KASJOWINA. Das Standesamt Werl-Amt berichtet hierzu unter der Nummer 1950/Nr.59 vom 29. Dezember 1950:
Die HALINA KRASJOWINA, russische Staatsangehörige, Beruf und Religion unbekannt, wohnhaft in Westönnen-Kreis Soest, ist am 4. April 1945, Todesstunde unbekannt, in Westönnen verstorben. Die Verstorbene war geboren am 1. Mai 1924 in Scral bei Orel (UdSSR), Todesursache unbekannt. Dieser Eintrag geschah auf schriftlicher Anzeige des Ordnungsamtes der Amtsverwaltung in Werl vom 11. Dezember 1950 mit der Genehmigung der Aufsichtsbehörde in Soest vom 22. Dezember 1950, Aktenzeichen 1100-56-.
Das Kirchenbuch der Pfarrgemeinde St. Cäcilia Westönnen berichtet über diesen Todesfall mit gleichen Daten. Allerdings wird hier der Todestag der 4. April und noch zusätzlich der Tag des Begräbnisses mit dem 7. April 1945 notiert.
Der nächste Gedenkstein gehört zu einem verstorbenen Bürger aus der Tschechoslowakei. Interessant und unterschiedlich ist hier die Schreibweise seines Namens. Auf dem Grabstein ist SUSAN J. KUDRKY graviert. Im Standesamtsregister steht IWAN KUDREY und das Westönner Kirchenbuch meldet KUDREY-SUSAN JOHANN. Auch beim Sterbedatum kommt es zu Differenzen. Der Grabstein meldet 18.9.1944 – das Standesamt 18.4.1945 und im Kirchenbuch steht 17.4.1945. Zusätzlich meldet das Kirchenbuch die Beerdigung am 19.4.1945 durch Vikar Josef Weins. Die sicherlich unruhige Zeit am Ende des Weltkrieges führt zu diesen Übertragungsfehlern bei den Daten. Der Eintrag im Standesamt Werl-Amt vom 19. April 1945, unter der Nr. 1945/303, hat folgenden Wortlaut:
Der Küfer IWAN KUDREY wohnhaft in Westönnen, ist am 18. April 1945 um 12.00 Uhr in Westönnen verstorben. Der Verstorbene war geboren am 20. August 1901 in Horowe (Slowakei). Vater und Mutter sind unbekannt. Der Verstorbene war verheiratet mit Dora Kudrey. Geborene Sawtschenko wohnhaft in Westönnen. Eintragung auf mündliche Anzeige der Ehefrau. Als Todesursache wird Vergiftung durch Spiritus angegeben.
Der Beruf des Verstorbenen wird mit Küfer bezeichnet. Ein Küfer ist ein Handwerker der Behälter und Gefäße aus Holz herstellt. Anzunehmen ist, dass Herr Kudrey als Küfer in der Küferei der Firma Kerkhoff angestellt war; denn dort wurden Holzbehälter für die Lagerung des Sauerkrautes benötigt.
Bei der vorletzten Begräbnisstätte unterscheidet sich der Grabstein von den anderen fünf in der Form eines Kreuzes aus Grünsandstein. Die Gravur lautet: OBERLT. H. SCHÜRMANN – 1945. Hierzu berichtet uns das Standesamtsregister vom 25. September 1945:
Der Stadtinspektor HANS FRIEDRICH HEINRICH SCHUIRMANN – gottgläubig – wohnhaft in Düsseldorf, Ganghoferstr. 33 ist am 3. April um 22 Uhr 15 in Westönnen im Schulhaus verstorben. Der Verstorbene war geboren am 28. November 1888 in Düsseldorf. Vater: Heinrich Schuirmann verstorben und zuletzt wohnhaft in Düsseldorf. Mutter: Henrieke Schuirmann geborene Köhne, verstorben und zuletzt wohnhaft in Düsseldorf. Der Verstorbene war verheiratet mit der Olga Schuirmann geborene Simon wohnhaft in Düsseldorf Ganghoferstr. 33.
Todesursache: Schlaganfall, Herzschwäche. Eingetragen auf mündliche Anzeige des Lehrers Otto Grund, wohnhaft in Westönnen.
Hier muss gefragt werden, was war der Grund des Aufenthalts von Herrn Schuirmann in Westönnen und wieso kam er abends um 22 Uhr in der Schule zu Tode? War er als Beamter (Stadtinspektor) oder als Soldat (Oberlt.) in Westönnen? Vermutlich doch als Soldat und vor den anrückenden Amerikanern hatte er sich in Westönnen zurückgezogen. Auf dem Grabstein wird er Schürmann genannt, während im Register der Name Schuirmann notiert ist. Otto Grund war von 1934 bis 1946 Lehrer an der Westönner St. Josef – Schule. Er starb am 28. Dezember 1950 mit 71 Jahren hier in Westönnen.
Die letzte Begräbnisstätte gehört einer jungen Polin. Der Eintrag im Standesamtsregister Werl-Amt Nr. 1944/51 vom 10. Februar 1944 lautet wie folgt:
Die Landwirtschaftsgehilfin JANINA STANOGA, kath., wohnhaft in Westönnen 103, Kreis Soest ist am 9. Februar 1944 um 17.45 Uhr in Werl im Mariannenhospital verstorben. Die Verstorbene war geboren am 5. Dezember 1925 in Jazugna (Polen) Vater: Bahnarbeiter Jan Stanoga, verstorben, zuletzt wohnhaft in Jezierna. Mutter: Maria Stanoga geb. Jawriowska, wohnhaft in Jezierna. Todesursache: Gehirnhautentzündung. Eintrag erfolgte auf schriftl. Anzeige des Mariannenhospitals
Das Westönner Kirchenbuch meldet die gleichen Angaben. Allerdings erfahren wir hier noch zusätzlich:
Beerdigt am 13. Februar 1944 und Landwirtschaftsgehilfin bei Bonnekoh im Hellweg.