Im ersten Teil unserer Serie zum Todesfall in Mawicke berichteten wir über das Unglück, welches sich am 12. Juli 1913 auf dem Hofe Wellie in Mawicke (heute Feldmann) ereignet hatte. Landwirt Theodor Wellie war dabei einer Schußverletzung erlegen und wenige Tage später wurde die dringend tatverdächtige Ehefrau Therese verhaftet. Zwar kam die Beschuldigte aufgrund der Schwangerschaft und der Zahlung einer hohen Kaution um Weihnachten herum frei, dem Schwurgericht am 6. März 1914 in Dortmund musste sie sich dennoch stellen.
Es war eine mit Spannung erwartete Verhandlung. So berichtet der Soester Anzeiger in seiner Ausgabe vom 7.3.1914:
„Die Tat erregte in Mawicke und Umgebung ziemliches Aufsehen und auch heute scheint das Interesse noch nicht geschwunden zu sein. Im Schwurgerichtssaale fand sich ein so reichliches Publikum, daß der Herr Vorsitzende das Drängen untersagen und viele die nicht sitzen konnten, wieder umkehren mussten. Mawicke und Nachbarschaft war reichlich vertreten, auch viele Dortmunderinnen hatten sich eingefunden, wie die seit längerer längerer Zeit nicht mehr besetzt gewesene Tribüne besagte.“
Doch neben den interessierten Zuschauern waren auch die Prozessbeteiligten nicht wenige. „Ein ziemlicher Zeugen-Apparat war zur Stelle“, so der Anzeiger. Ansonsten fungierten Staatsanwalt Windhorst als Vertreter der Anklage und der bekannte Dortmunder Rechtsanwalt Frank als Verteidiger. Als Gutachter waren Medinzinalrat Dr. Dörrenberg-Soest, Dr. Jürgens aus Werl, Gerichtsarzt Dr. Steinhaus und Kreisarzt Dr. Hagemann aus Dortmund geladen. Zudem noch der Büchsenmacher Bieckelt.
Der Soester Anzeiger berichtet danach weiter aus dem Gerichtssaal: „Die Verhandlung ergab, daß das Familienleben nicht das allerbeste war. Wenn Streitigkeiten zwischen den Ehegatten auch nicht an der Tagesordnung standen, so gehörten doch nicht zu den Seltenheiten. Die Angeklagte selbst gab zu, daß ihr Ehemann sich wohl öfter einmal vergessen, sie aber nicht so schwer mißhandelt habe, wie am fraglichen Tag.“
Dann mit Spannung erwartet, die Aussage der Therese Wellie, geb. Keggenhoff, die in aller Ausführlichkeit auch im Soester Anzeiger vom 7. März 1914 zu lesen war:
„Meines Wissens fuhr mein Mann morgens nach Werl und kehrte gegen 11 Uhr zurück, während ich meinen häuslichen Verrichtungen nachging. Mein Mann hatte sich schlafen gelegt und als die Essenszeit herankam, ging ich ihn zu wecken. Er lag auf dem Bett und ich erhielt auf mein Rufen keine Antwort, weshalb ich mich allein an den Tisch setzte. Inzwischen kamen Mutter und Schwester des bei uns wohnenden jungen Löhr. Ich lud diese zum Essen ein und bald kam auch mein Gatte, nur notdürftig angekleidet, nach unten. Als er die Leute sah, ging er wieder nach oben und als ich nach einiger Zeit wieder zum Essen einlud, drohte er mir mit beiden Händen und rief mir zu, alleine zu essen. Die Kinder gingen zur Andacht, während ich mich selbst auf Sopha legte. Löhrs Angehörige waren gegen 5 Uhr wieder losgefahren und mein Mann kam bald darauf abermals nach unten, schimpfte reichlich und fuhr mit dem Rad aus, etwas gegen 8 Uhr zurückkehrend. Nach dem Einnehmen von etwas Butterbrot begann mein Mann erneut den Zwist, fügte auch hinzu, derartige Leute (Löhrs) nicht wieder einzuladen.
Als ich mich, um Weiterungen zu entgehen, entfernen wollte, ergriff mich mein Mann, schlug mich wiederholt und würgte an meinem Halse. Die Hauptursache mag wohl gewesen sein, daß ich mich am letzten Schützenfest nicht beteiligte, ebensowenig mich aber auch am folgenden Dienstag stattfindenden Tierschaufest beteiligen wollte, was mein Mann durchaus haben wollte. Für meine Ablehnung erhielt ich einen Fußtritt. Daß mein Mann den Tag über etwas mehr wie nötig getrunken, will ich nicht unerwähnt lassen. Bei dem sich zwischen uns abspielenden Wortwechsel erhielt ich von meinen Mann mehrere wuchtige Faustschläge sowie einen furchtbaren Schlag mit dem Absatz seines Schuhes auf den Kopf, daß mir Sehen und Hören verging. Ich war meiner Sinne nicht mehr mächtig und begab mich nach unten, um mir mit einen Tuche das vom Kopf triefende Blut abzuwaschen. Vor den Leuten wollte ich mich nicht sehen lassen, auch nicht wieder oben zu meinem Manne gehen.
Da fiel plötzlich ein Schuß und als ich nach oben eilte, lag mein Mann lang ausgestreckt auf dem Bett und rief als er meiner ansichtig wurde : „Thereschen, hilf mir und vergib mir alles.“ Ich war aber nicht in der Lage, meinem Manne zu helfen und schickte den kleinen Löhr daher zu meinem Bruder. Als derselbe erschien, band er den stark blutenden Arm meines Mannes ab, packte ihn dann in den Kutschwagen und fuhr damit nach Werl zum Arzt.“
Weiter berichtet der Anzeiger, dass die Hilfe des Werler Arztes Dr. Jürgens aber zu spät kam. Als der erschien, war Theodor Wellie bereits verstorben.
Nach der ausführlichen Aussage der Therese Wellie befragte der vorsitzende Richter die Angeklagte. Der Soester Anzeiger fasste die Befragung wie folgt zusammen:
„Vom Vorsitzenden nach sonstigen Verhältnissen befragt, sagte die Angeklagte aus, daß sie seit 4 Jahren verheiratet und Mutter zweier Kinder sei. Außerdem gehörten zu ihrem Anwesen 100 Morgen Land. Weiter befragt, wie ihr Mann zu der Verletzung gekommen, konnte sie eine Antwort nicht erteilen, da sie nicht im Zimmer anwesend gewesen. Diese Äußerungen fanden bei Gericht anscheinend wenig Glauben, der Herr Vorsitzende fragte daher weiter, ob die Angeklagte der Ansicht sei, daß ihr Mann sich selbst erschossen habe. Diese Frage verneinte die Frau, höchstens könnte ihr Mann wohl unvorsichtig mit dem Gewehr hantiert haben. Ihr Gatte habe meist Gewehre geladen stehen lassen und im Schranke aufbewahrt. Darauf hingewiesen, daß es doch auffällig erscheine, daß Wellie so spät mit einem Gewhr hantiert haben soll, konnte die Angeklagte keine Erklärung dafür geben. Endlich sah der Vorsitzende es als befremdend an, daß sie den Verletzten nicht einmal gefragt, wie er die Wunde bekommen und daß sie ihn nicht selbst, so gut es ging, verbunden, entgegnete Frau Wellie, sie sei von den erhalten Schlägen so consterniert gewesen, daß sie einen klaren Gedanken nicht habe fassen können.“
Hier endete die Befragung der Angeklagten und es wurde mit der Beweisaufnahme begonnen. Die umfangreichen Zeugenaussagen und die Urteilsverkündung folgen in wenigen Tagen in Teil 3 unserer Serie zum Todesfall des Theodor Wellie.
Autor: Manfred Zeppenfeld / Alfred Risse / Dieter Holtheuer