Dienstag 13. August 2002, 17:30
Uhr
Seit Tagen hatte man die Nachrichten gehört und den Verlauf des
Hochwasserpegels entlang der Elbe verfolgt. Von der Mulde kannten wir
das Hochwasser, erzählt uns der Großvater. In den Jahren 1954 und 1974
waren die letzten hohen Wasserstände, bei denen der eigene Keller ca.
10 cm durch hochsteigendes Grundwasser überschwemmt wurde. Doch jetzt
war alles anders. Plötzlich hieß es, das Wasser kommt. Bei einem
Dammbruch sind im Ort Pegelstände um 1,60 m zu befürchten. Bis 21:00
Uhr muss der ganze Ort evakuiert werden. Danach kommt niemand mehr mit
dem PKW raus. Dreieinhalb Stunden!!!
Der Vater wurde telefonisch informiert. Er war noch in der Firma. Zum
Glück zeigte der Chef Verständnis und ließ ihn sofort gehen. Das
Glück hatten nicht alle! In kürzester Zeit war das Chaos in Waldersee
perfekt. 2.800 Einwohner müssen die Stadt in ihren PKWs verlassen.
Allerdings sind zwei der drei Ausfallstraßen wegen der drohenden Fluten
schon gesperrt. Alles beschränkt sich auf eine Straße Richtung Dessau.
Der Stau aus Waldersee wird durch die gleichzeitige Evakuierung des
Nachbarortes Mildensee verstärkt. Weil eigentlich niemand weiß wohin
er soll, sind die Straßen in Dessau schnell überfüllt. Das
Verkehrsnetz bricht zusammen. Blaulichter wohin man sieht.
Mittwoch, Donnerstag 14./15.
August 2002
Zu Fuß oder mit dem Fahrrad dürfen die Eltern zu ihrem Haus. Noch ist
das Wasser nicht da. Noch halten die Dämme. Retten was zu retten ist.
Aber was? Was ist jetzt das Wichtigste? Nachdem man Stunde um Stunde am
Deich geholfen hat, fällt jeder Weg über die Treppe in den 1.
Stock schwer. Die neue Couch hoch tragen, ja das geht grad noch, aber
das Klavier? Hoffnungslos. Die Schränke abbauen? - unmöglich. Schnell
vom Hausrat soviel in Kisten, Körbe und Kartons wie möglich.
Mehr kann man nicht tun. Das wichtigste ist, zurück zum Damm. Helfen,
damit das Wasser doch draußen bleibt. Der Muldepegel sinkt, die
Hoffnung wächst. Schaffen wir es?
Freitag 16. August 2002
Die Elbe steigt. Die Elbe? Das ist doch die falsche Seite. Von da hat
uns das Wasser doch noch nie bedroht. Der Schwedendamm ist in Gefahr!
Schnell alle dorthin und helfen. Es gibt zuwenig Zufahrtswege für die
Hilfsfahrzeuge um Sandsäcke an die gefährdeten Deichstellen zu
bringen. Der Transport wird von den Bewohnern mit Hilfe Ihrer Fahrräder
bewerkstelligt. Dafür müssen alle Säcke noch schnell zugeschnürt
werden, weil der Fahrradtransport sonst nicht klappt. Aber die Seile
sind hart und scharf wie Messer. Die Frauen am Sandverteilplatz
zerschneiden sich die Hände. Andere nehmen die Fahrräder, beladen sie
mit 8-12 Säcken und schieben über den Deich zur Gefahrenstelle. Dort
nehmen die anderen Helfer die Säcke entgegen und verstärken den Damm.
Wenigstens kann man auf dem Rückweg mit dem Rad fahren um am
Sammelplatz erneut Säcke abzuholen und sie erneut den ganzen Weg zu
schieben. Die Kräfte sind erschöpft. Geschlafen wird stundenweise am
Deich - wo auch sonst. Ins Haus kann man ja nicht.
Sonntag 18. August 2002 11:30
Uhr
Alles umsonst, der Damm bricht. Bis 20.00 Uhr wird noch um den Notwall
gekämpft, dann ging auch das nicht mehr. Laufen, laufen, schnell hier
weg! Unglaublich, mit welcher Geschwindigkeit das Wasser steigt. Das
war's dann. Abwarten. Eine Woche steht das Wasser. Öl
schwimmt überall. Es stinkt und die Angst steigt, was ist da alles
drin? Wann geht das Wasser und was bleibt zurück?
Dienstag 27. August 2002
Erste Rückkehr mit Gummistiefeln ins Haus. Sprachlosigkeit.
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