Die "Arche" und der "Archenvater"
Zurück
Eine Ruine und ihr Bewohner
Südlich des Börn lag eine Ruine aus grünem Sandstein. Es war der Rest einer Fabrik, die von der Familie Plattfaut um die Wende zum zwanzigsten Jahrhundert erbaut worden war.
Diese Ruine hieß im ganzen Dorf nur die "Arche", und ihr Bewohner war der "Archenvater".

Die "Arche", der Rest einer alten Rübenkrautfabrik, aufgenommen in den dreißiger Jahren.
Die Familie Plattfaut hatte offensichtlich viel Geld in diese Anlage investiert. So berichtet Alfred Poggenpohl in den Heimatblättern des Soester Anzeigers (Jahrbuch 1) folgendes:
"Weiter wird der Börn von einer Quelle gespeist, die in den Brumberg-Plattfautschen Wiesen liegt. Diese Quelle wurde erst um die Jahrhundertwende gebohrt, da dort eine Rübenkrautpresse aufgebaut werden sollte. Nachdem tagelang gebohrt wurde, und der Erfolg ausblieb, wollte der Auftraggeber die Bohrung einstellen lassen. Der Bohrmeister jedoch, gleichzeitig "Wünschelrutengänger", war überzeugt, dass dort eine Wasserader vorhanden war und bohrte auf eigene Verantwortung weiter. Der Erfolg blieb nicht aus. Bei einer Tiefe von 101 Fuß kam Wasser im Bohrloch hoch und drückte, nachdem es verrohrt war, über 150 cm hoch. Die Quelle fördert noch heute ca. 21 000 000 Liter im Jahr und wurde noch nie trocken." - In Preußen entsprach ein Fuß 0,314 Meter. -

Die obigen Ausführungen können bestätigt werden. Das Wasser quoll aus einem Rohr, welches etwa einen Durchmesser von 15 cm hatte. Bei der Verlegung einer Abwasserleitung wurde das Rohr ohne Absicht abgebrochen. Das Wasser floss weiter. Da der "Archenvater" dieses Wasser nutzte, schloss er das Loch mit einer Holzplatte ab, in der ein Deckel eingearbeitet war, den man sogar mit einem Vorhängeschloss sichern konnte. Die Bohrung liefert noch heute Wasser, aber die Menge hat deutlich nachgelassen.

Warum die Familie Plattfaut die Arbeit am Börn so schnell einstellte, ist nicht bekannt. Man verlegte die Produktion nach Soest, wo die Fabrik bis nach dem Kriege arbeitete.

Jedenfalls war das Gebäude am Börn schon zum Ende der zwanziger Jahre nur noch eine Ruine, und in dieser Ruine hatte sich der "Archenvater" eingerichtet. Der Archenvater war der Junggeselle Adam Müller. Er soll bei Westönner Bauern gearbeitet haben, aber als er in der Arche wohnte, war er nicht mehr jung und schwer behindert. Beide Unterschenkel waren ihm nach Erfrierungen amputiert worden. Vorgebeugt, sich auf seinen Stock stützend, bewegte er sich nur mühsam fort. - Siehe Bild! --


In den dreißiger Jahren, der "Archenvater" vor seiner Behausung.

Seine "Wohnung" bestand eigentlich nur aus einem Raum, der ihm zum Wohnen und zum Schlafen diente. In dieses Zimmer gelangte man durch einen schmalen, fensterlosen Raum, der ihm als Vorrat diente. Da konnte er Kohlen und Holz lagern. Eine Wand war mit Bildern aus dem Ersten Kriege bedeckt. Sie stammten wohl aus illustrierten Zeitungen. Es ist nicht bekannt, ob er besondere Erinnerungen an den Krieg hatte, oder ob er nur die kahle Wand bedecken wollte. Er teilte die Wohnung mit seinem Hund Bruno. Unter dem Dach hatte er einen schönen und geräumigen Platz für seine Tauben.

Sein Zimmer war kärglich möbliert. Da gab es ein altes Bett, einen Herd, einen Tisch und ein paar einfache Sitzmöglichkeiten. Ein Schrank taucht in meiner Erinnerung nicht auf. Da war wohl nur ein Regal. Durch ein kleines Fenster an der Südseite fiel Licht. An eine Stromleitung war er nicht angeschlossen.

Aber er war zufrieden; so sah er wenigstens aus. Er war freundlich zu jedermann, auch zu Kindern und hatte immer Zeit für eine Unterhaltung. So hatte er oft Besuch. An der Südseite der Arche war eine Bank (eigentlich nur ein Brett), wo er selber und seine Gäste die ersten und die letzten Sonnenstrahlen eines Tages oder eines Jahres genießen konnte. Für die heißen Tage hatte er eine schattige Laube in ein paar große Holundersträucher geschnitten, die vor dem Eingang zur Arche standen. Und an kalten Tagen fand sich auch in der Arche noch ein Platz für bescheidene Besucher.

Er selbst war in jeder Weise bescheiden. Welche Geldmittel er zur Verfügung hatte, ist unbekannt. Es gab etliche Westönner, die ihm Spenden (Lebensmitteln, Kleidung) zukommen ließen. Seine ersten Nachbarn waren die Mitglieder der Familie Dregger. Wir Kinder wurden schon mal beauftragt, etwas zum Archenvater zu bringen, aber Frau Dregger besuchte ihn auch selber regelmäßig, um dann anschließend mächtig zu schimpfen, wenn sie sich wieder einen Hundefloh vom Bruno geholt hatte. Nur gut, dass Hundeflöhe sich nicht länger beim Menschen aufhalten, sie wollen Blut der Hunde trinken.

Der Archenvater selber war hager, aber das lag wohl nicht am schlechten Essen, denn sein Hund Bruno, der die Speisereste vom gleichen Teller bekam wie der Archenvater sein Essen, gedieh prächtig und wurde dick und rund davon.

Kurz vor dem Ausbruch des Krieges hieß es plötzlich: Der Archenvater ist krank und kurz darauf kam die Kunde, der Archenvater ist tot.

Leider haben dann Jugendliche aus dem Dorfe die Arche verwüstet. Es wurde nie bekannt, wer da gewütet hatte.

1948 standen noch ein paar Mauern. Kurz darauf wurden die Steine und die Trümmer beseitigt, und man muss sich schon auskennen, wenn man noch Reste erkennen will.


 

Links:
Überreste der "Arche", ein Foto aus dem Jahr 1948.

 

Siehe auch die Artikel :
"Der Börn - Ein interessanter Quellteich"
"Der Börn und sein Umfeld"
Friedrich Schleep